FRAGILE

Der Titel Fragile macht bereits deutlich, worum es geht: Zerbrechlichkeit. Donlon zeigt die Ängste, die die Covid-19-Pandemie in den Menschen geschürt hat, und formuliert selbst in einem Gespräch über ihre Inszenierung, dass sie persönlich das Gefühl habe, in der momentanen Situationen auf Eierschalen zu laufen, da man sich aus Angst vor der Infektion ganz anders bewege. Deshalb hat sie einen Raum voller Glasscherben entworfen, bei dem die Tänzer*innen genau überlegen müssen, wohin sie sich bewegen. Immer wieder versuchen sie, die Scherben zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Damit schaffen sie sich kleine Inseln, auf denen sie zu Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen geschmeidige und wunderbar synchrone Bewegungen durchführen. Die Variationen werden live von Uroš Ugarcović am Klavier begleitet. Dabei steht das Klavier auf der linken Seite der Bühne und ist ebenfalls von Scherben umgeben. Michio Woirgardt hat als Auftragskomposition eine Klang-Collage erstellt, die Bachs Harmonien immer wieder unterbricht. Wenn die Tänzer*innen gerade ein Gefühl von Sicherheit gewinnen, wird durch eine neue Katastrophe wieder alles zerstört. Weiteres Glas zerbricht. Die Scherben auf der Bühne nehmen überhand und sind einfach nicht in den Griff zu kriegen.
Neben dieser verzweifelten Grundsituation erzählt Donlons Choreographie auch Einzelschicksale. So wird beispielsweise Dario Rigaglia von den Scherben komplett bedeckt und muss sich langsam seinen Weg ins Leben zurück kämpfen. Die anderen beäugen ihn dabei kritisch. Man hat Angst voreinander. Berührungen sind nur durch das Glas möglich. Nur mit viel Kraft und Willen kann Rigaglia die Scherben ablegen und langsam wieder zu geschmeidigen tänzerischen Bewegungen zurückfinden. Dabei ist erstaunlich, wie sein Körper sich in den Bewegungen unkontrolliert zu verselbständigen scheint. Auch die übrigen sechs Tänzer*innen verdienen großes Lob, wie sie auf dieser durch Scherben bedeckten Bühne einen Weg zu geschmeidigen Bewegungen zu Bachs Musik finden. Der Schluss gehört Ambre Twardowski und Dario Rigaglia, die in einem bewegenden Pas de deux versuchen, zueinander zu finden. Aber auch das scheint in der momentanen Situation unmöglich. Twardowski kauert sich an die Bühnenrampe auf der linken Seite, während Rigaglia verloren inmitten der Scherben zurückbleibt. Der Vorhang senkt sich, und das Licht verlöscht. Das Publikum ist sichtlich angetan von diesem bewegenden Abend und spendet begeisterten Beifall. Donlon bedankt sich bei ihren Tänzer*innen mit Rosen, die sie wegen der Abstandsregeln nicht persönlich überreicht, sondern in einem Behälter auf die Bühne stellt.
…Marguerite Donlon reagiert in sehr eindrucksvollen Bildern auf die momentane Corona-Krise und entwickelt eine Choreographie, die unter die Haut gehen.

Thomas Molke, Online Musik Magazin

The title Fragile already makes it clear what it is all about: fragility. Donlon shows the fears that the Covid-19 pandemic has stirred up in people, and even in a conversation about her staging, she herself formulates that she personally has the feeling of walking on eggshells in the current situation, because people move in a completely different way for fear of infection. That is why she has designed a room full of broken glass, where the dancers* have to consider exactly where they are moving to. Again and again they try to put the shards together to form a whole. In this way they create small islands on which they perform smooth and wonderfully synchronized movements to Johann Sebastian Bach’s Goldberg Variations. The variations are accompanied live by Uros Ugarcoviæ on the piano. The piano stands on the left side of the stage and is also surrounded by shards. Michio Woirgardt has commissioned a sound collage that interrupts Bach’s harmonies again and again. When the dancers* are about to gain a feeling of security, a new catastrophe destroys everything again. Further glass breaks.

The shards on stage take over and are simply not to be gotten a grip on.
In addition to this desperate basic situation, Donlon’s choreography also tells individual fates. For example, Dario Rigaglia is completely covered by the shards and has to fight his way back into life. The others look at him critically. They are afraid of each other. Touching is only possible through the glass. Only with a lot of strength and will Rigaglia can put the shards away and slowly find his way back to smooth dancing movements. It is astonishing how his body seems to take on an uncontrolled independence in the movements. The other six dancers* also deserve great praise for the way they find a way to smooth movements to Bach’s music on this stage covered by shards. The end belongs to Ambre Twardowski and Dario Rigaglia, who try to find each other in a moving pas de deux. But even that seems impossible in the current situation. Twardowski crouches down at the stage ramp on the left side, while Rigaglia remains lost amidst the shards. The curtain lowers and the light goes out. The audience is visibly taken with this moving evening and gives enthusiastic applause. Donlon thanks her dancers* with roses, which she does not hand over personally because of the rules of distance, but puts on stage in a container.
…Marguerite Donlon reacts in very impressive pictures to the current corona crisis and develops a choreography that gets under the skin.

Thomas Molke, Online Music Magazine

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Theater Hagen
Premiere: Sa, 03.10.20
Choreography, Concept & Stagedesign: Marguerite Donlon
Bühnenrealisierung & Kostüme: Soojin Oh
Light: Ernst Schießl
Music: Johann Sebastian Bach & Michio Woirgardt
Klavier: Uros Ugarovic
Photos: Oliver Look